Der Tag davor

Es ist 5 Uhr morgens, 24 Stunden vor dem Start und ich will eigentlich noch 3 Stunden schlafen. Das fiele mir normalerweise nicht schwer. Ich verfluche das nebenan bockende Kleinkind und dessen beim “Beruhigen” so unkreative und teilweise noch lautere Eltern. Mein Hämmern an die Wand beeindruckt das Kind wenig aber es tut gut. Immerhin dämpfen die Eltern etwas ihre Stimme.

Beim Frühstück kreisen meine Gedanken nur noch um das Rennen. Meine bessere Hälfte muss seit Freitag unendlich tolerant sein. Ich fühle mich für alles gewappnet und doch geistern mir viele Fragen durch den Kopf. Zum Beispiel das Wetter. Mein letzter Stand ist der von Freitag früh. Wie wird der Wind? Wird es jetzt so kalt? Reichen die Getränke? Welche Kleidung nehme ich jetzt final mit? Brauche ich die zweite Hose wirklich? Ist es leichtsinnig, keinen Ersatzmantel mitzunehmen? Gibt es irgendeinen Grund, warum die neuen Laufräder vielleicht nicht funktionieren könnten?

 

Sachen packen bzw. auspacken, was nicht mit an den Start muss und los geht’s. Stolz wie Oskar trage ich das offizielle Randonneur Allemagne Trikot, welches ich gestern noch ergattert und eben noch schnell durchgespült habe. Die Trophäe soll einem angeblich aus den Händen gerissen werden, wenn man wieder in Paris ankommt. Ähnlich einem berühmten Fußballtrikot. Vermutlich nur deutlich geruchsintensiver.

Das Fahrrad in der Transporttasche geht es mit Metro und Zug nach St. Quentin en Yvelines. Die Schulter würde sich jetzt über einen Rollkoffer freuen. Ich gäbe allerdings ein Land dafür, wenn meine Nackenverspannung verschwände. Die Massagen der letzten Tage haben nicht nachhaltig gewirkt. Am Alter kann es nicht liegen. Bei der Anmeldung für die Fahrradüberprüfung werde ich gefragt, ob ich schon 18 sei. Im dritten Anlauf wird aus meinem Geburtsdatum aber letztlich doch die 27 errechnet. Wenn ich wieder zurück komme – behaupten Mediziner – wäre ich noch ein weiteres Jahr gealtert. Immerhin kann ich mich dann bald als freiwilliger Helfer melden. Drei geschätzte Rentner (oder doch nur mehrfache Teilnehmer?) prüfen mein Licht und ob sich alles und nur das am Rad dreht, was sich drehen sollte. Wenn ich Französisch könnte, würden sie sich auch freudig mit mir unterhalten. Nach dem “Bonne rute” bekomme ich von meiner persönlichen Dolmetscherin eine Kurzzusammenfassung. Heute erhalte ich auch meine Startunterlagen. Als Schulterklopfer gibt es bereits die Superrandonneur-Madaille für die gefahrenen Brevets von 200/300/400/600km. Im Stadion statte ich das Rad mit den Startnummern aus. Bei einer Probefahrt knackt es dann komisch im Antrieb. Da ich die Kette auf dem Ritzelpaket bereits seit 600km fahre und keine andere Erklärung finde, als dass die Ritzel zu alt und die Kette zu neu (kurz) sind, lasse ich es mit leicht lauem Gefühl im Magen gut sein. Ablenken kann jetzt nur das gebuchte Mittagessen. Trotz meiner Versuche, eine präzisere Wegbeschreibung zu erhalten, erkundeten wir mehr von St. Quentin als wir eigentlich vor hatten. Schließlich kamen wir aber doch in den Genuss dessen, wofür die Franzosen berühmt sind: 4 Gänge, die nicht nur satt machten, sondern auch super schmeckten (Salat / Vorspeise, Pasta, Joghurt, Dessert). Im Anschluss ging es zum Hotel, welches 5km vom Start entfernt liegt und mir in der Nacht vor der Strapaze noch etwas Ruhe verschaffen sollte. Die Hitze auf dem Fußmarsch gab einen Vorgeschmack auf das, was die ersten Starter am Nachmittag erwarten würde. Für die nächsten Tage waren eher kühlere Temperaturen mit Regen angesagt. Zunächst war allerdings Schwitzen angesagt. Und das änderte sich auch im Hotel nicht, wo ohne Klimaanlage die Wahl war zwischen Fenster auf mit dem Straßenlärm einer 4spurigen Hauptverkehrsader und Fenster geschlossen in Kombination mit Schweißausbrüchen trotz dünner Laken-Decke. Die Nacht würde wohl nicht so erholsam werden…

Schnell noch Sachen ordnen und überblicken, ob ich etwas vergessen haben könnte. Dann verabschiedet sich meine Freundin mit der leeren Fahrradtasche und Tagesgepäck und ich legte den Schalter um auf Schlafmodus..

 

denlinne

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